Der Traum von der Gerechtigkeit

Egon Erwin Kisch, Schriftsteller-Reporter

Vor 75 Jahren, im Jahr 1948, ist der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch gestorben. Ein linker jüdischer Intellektueller, im Exil überlebte er den Holocaust. Zurückgekehrt nach Prag bewahrte ihn sein früher Tod davor, in einer von Stalins Säuberungsaktionen ermordet zu werden.

Der Jahrestag war für den Hiltruper VorLeseClub Anlass, Kisch eine Lesung zu widmen (3.5.2023). Aber warum eigentlich eine Lesung? „Rasender Reporter“ – wer liest eigentlich die Zeitung von gestern?

In seinem Buch „Der rasende Reporter“ destilliert Kisch das, was der Sensationsreporter berichtet, zu Zeitgeschichte. Wat koofe ick mir for een Groschen – den Blick auf den Lustmord, man muss nur einen Groschen in den Automaten einwerfen. Auch die BILD kostete mal einen Groschen.

In Kischs Lebensgeschichte begegnet den Vorleser-Entdeckern eine untergegangene Kultur. Jüdisches deutsch sprechendes Bürgertum im Prag der k. u. k. Monarchie, zugleich der Muff der Korporationen an der Prager Universität.

Kisch kommt aus diesem Milieu und ist doch viel zu neugierig und viel zu aufsässig, darin zu verbleiben. Nach dem Wehrdienst entscheidet er sich für den Journalismus, undercover erkundet er die Welt der Armen. In einigen Geschichten mischt sich Realität und gut erfundene (und gut erzählte) Fiktion, andere Geschichten erzählen einfühlsam und dramatisch die Welt der kleinen Leute. Erste Bücher mit seinen Reportagen erscheinen, und er hat Erfolg als investigativer Journalist. Nach dem I. Weltkrieg entscheidet er sich für den Kommunismus als Traum von der Gerechtigkeit, ist er einer der Anführer der Roten Garde in Wien.

Zwischen den Weltkriegen ist Kisch in Berlin Teil einer linksintellektuellen Gesellschaft. Als rasender Reporter ist er in vielen Ländern unterwegs und veröffentlicht eine Vielzahl von Reportagen und Büchern, bis er vor den Nazis fliehen muss. Im europäischen und später amerikanischen Exil steht er in extremer Spannung zwischen seinem Idealismus und der barbarischen Wirklichkeit des russischen Kommunismus. Bei seiner Rückkehr 1946 findet er Prag „voll von Freunden, die nicht mehr leben“. Ihm angebotene Ämter schlägt er aus, „ich bin nichts, nur Schriftsteller“.

Kisch ist nicht alt geworden, als ob der „rasende Reporter“ die Kerze an beiden Enden angezündet hätte. Es ist eine beeindruckende und gleichzeitig anrührende Lebensgeschichte, sie führt die Zuhörer mitten in unsere jüngste Zeitgeschichte.

Der VorLeseClub wiederholt die Lesung „Rasender Reporter in rasender Zeit“ am 31.5.2023 um 19.30h im Saal der Friedenskirche, Münster, Zum Erlenbusch 15.