Kampf um Impfstoff?
Der noch geschäftsführende Minister hat sich ja schon entschuldigt. Seine Kommunikation sei nicht gut gewesen, als er verkündete, jetzt gebe es erst einmal nur Moderna-Impfstoff. Hat er auch gesagt, dass es keine gute Idee war, plötzlich die Booster-Impfung für alle freizugeben? Millionen Menschen sollen in kurzer Zeit geimpft werden, und die Impfzentren hat der Minister gerade schließen lassen.
Wenn man in so einer wirklich schwierigen Situation vorankommen will, muss man vor allem einen Plan haben – und durchführen. Erst die Alten ein drittes Mal impfen, dann die weniger Alten, dann die nächst jüngere Altersgruppe: Diese Priorisierung war sinnvoll in der Impfkampagne des Frühjahrs, um den Ansturm der Impfwilligen zu bewältigen. Für die dritte Impfung jetzt im Herbst wäre sie genauso sinnvoll gewesen. Der noch geschäftsführende Minister hat stattdessen erklärt, jetzt sei die dritte Impfung für alle freigegeben, sofort, ohne Priorisierung. Er hat damit einen Andrang provoziert, der nicht zu kanalisieren ist.
Die Impfzentren sind gerade erst im Wiederaufbau. Die Hauptlast tragen jetzt die Hausärzte. Nicht jeder Hausarzt impft, der organisatorische Aufwand vor allem in den kleineren Praxen steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu der Vergütung. Die Impfung im Impfzentrum hat sich der Staat zwischen 250 und 350 Euro kosten lassen, wenn die veröffentlichten Zahlen stimmen – pro Impfung. Der Hausarzt bekommt 20 Euro dafür.
Wenn nötig impft der Hausarzt auch per Hausbesuch, aber die meisten werden in die Praxis eingeladen. Dafür stimmt die Praxis am Dienstag der Vorwoche mit der Apotheke ab, welche Impfstoffe in welchen Mengen in der nächsten Woche geliefert werden, lädt dann entsprechend die Patienten ein und hält diese Zeiten frei von anderen Terminen.
In der 47. Kalenderwoche des Jahres 2021 kommen nun ständig neue widersprüchliche Botschaften. Zunächst verfügte der noch geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Spahn, Arztpraxen dürften für die 48. Kalenderwoche jeweils nur 30 Dosen Biontech-Impfstoff bestellen; Impfzentren und mobile Impfteams sollten jeweils 1.020 Dosen erhalten. Die Ärzte protestierten gegen diese Deckelung der Bestellmenge. Daraufhin gab der Minister nach und erhöhte die bestellbare Menge Biontech-Impfstoff auf 48 Impfdosen pro Praxis.
Nachdem am Dienstag der Impfstoff für die nächste Woche bestellt ist (48 Dosen Biontech und zusätzlich Moderna) und die Impftermine mit den Patienten vereinbart sind, storniert die Apotheke zwei Tage später plötzlich einen Teil der Bestellung. Die Apotheke kündigt an, einen Impfstoff überhaupt nicht zu liefern: Moderna sei nicht lieferbar. Dabei ist Moderna bundesweit angeblich in so großen Mengen auf Lager, dass der noch geschäftsführende Gesundheitsminister Spahn dafür Reklame machen musste. Und von Biontech will die Apotheke in der nächsten Woche nur die Hälfte der bestellten Menge liefern, also nur 24 Dosen.
Wenn das so kommt, bedeutet das Arbeit und Ärger: Die Arztpraxis muss die Patienten anrufen, vereinbarte Termine ins nächste Jahr verschieben und sich viel Ärger anhören.
Deshalb telefoniert die Praxis erst einmal herum und erfährt von anderen Apotheken: Es gebe keinen Lieferengpass. Andere Apotheken können angeblich liefern, aber: Der Dienstag als Bestelltermin für die Impfstofflieferung der nächsten Woche ist jetzt vorüber, andere Apotheken können nicht einspringen. Offensichtlich sind die verschiedenen Pharma-Großhändler unterschiedlich lieferfähig. Die NOWEDA eG ist unglücklich über diese Situation, nach einem Bericht der DAZ.online offensichtlich in Münster besser lieferfähig als andere.
Die Arztpraxis ruft darauf noch einmal „ihre“ Apotheke an. Und was sagt der Apotheker jetzt: Ja, er werde sich bemühen, und wie viele Töpfchen Moderna die Praxis denn haben wolle? Heute Nachmittag noch werde er anrufen und mitteilen, was er tun könne. Das tut er dann auch: Nichts kann er tun.
Corona ist eine gewaltige Herausforderung für das gesamte Gesundheitssystem. In wohlklingenden Reden werden alle Ärzte, alles Fachpersonal, alle Pflegekräfte aufgefordert, mit vollem Einsatz gegen die Pandemie zu kämpfen. Die Hausärzte müssen sich dann aber veralbert fühlen, wenn sie solche widersprüchliche Botschaften wie in diesem Fall erhalten.
Noch größer wird das Unverständnis aber vor diesem Hintergrund: Exakt in den Tagen, in denen der Hausarztpraxis bei der Belieferung mit Impfstoff „der Hahn abgedreht“ wird, werben andere Praxen in Münster auf der Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung mit dem Advents-Impfen: Für die 48. Kalenderwoche zum Beispiel, in der die Hausarztpraxis nicht genug Impfstoff bekommt, bieten fünf Arztpraxen in Münster das „Advents-Impfen“ an. Eine von ihnen verkündet auf ihrer Internetseite sogar ausdrücklich: „Moderna-Impfstoff ist in ausreichender Menge vorhanden.“
Wie kann das sein, fragt man sich, dass zwei Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und ein Nephrologe (nur zwei der fünf sind Hausärzte) offensichtlich ohne Schwierigkeiten ausreichend Impfstoff geliefert bekommen, und der Hausarzt vor Ort sitzt auf dem Trockenen? Wer spielt hier falsch: Die Apotheke? Der Pharma-Großhändler? Die Kassenärztliche Vereinigung? Der Bundesgesundheitsminister?
Fragt man einen der Pharmagroßhändler, verweist dieser auf den Bundesgesundheitsminister: Dessen Beschlüsse setze man um. Und ja, regional unterschiedlich gebe es auch bei Moderna Lieferprobleme.
Aus Südafrika kommt gerade die nächste gefährliche Corona-Variante zu uns: Kann es nicht endlich einen verlässlichen Fahrplan für dies anspruchsvolle Impfprogramm geben?
(Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 29.11.2021.)