Johnsons Regierung verhöhnt ganz Europa
Britische Politik ist irrational und rätselhaft, zumindest das haben wir in den letzten drei Jahren gelernt. Politische Diskussionen in Großbritannien werden mit dreisten Lügen geführt, und einer der größten Lügner ist jetzt Premierminister, auch das mussten wir lernen. Sowohl dieser Premierminister als auch das britische Parlament haben nicht den geringsten Schimmer, wie es mit dem Brexit weitergehen soll.
Umso aufmerksamer wird man bei der Lektüre dieser ganzseitigen Anzeige in der Süddeutschen Zeitung (19.10.2019). Es geht um den Handel zwischen der EU und Great Britain – sollte da irgendjemand in Great Britain eine Vorstellung haben, wie der Handel mit dem Inselreich in Zukunft abgewickelt werden kann?
Allein, schon der zweite Satz des Anzeigentextes macht klar, dass Boris Johnson, der die Anzeige verantwortet, entweder gar nichts begreift – das ist noch die freundlichere Variante – oder aber ganz Europa böswillig verhöhnt. „Dann werden Sie jetzt aktiv!“ ruft er uns zu, und er legt noch eins nach.
„Bereit für den Brexit“ legt Johnson nach und sagt uns allen: Alles ist klar, ihr müsst jetzt nur aktiv werden. Ist doch ganz einfach!
Merkwürdigerweise gibt es in der EU Fachleute für Logistik, Steuern und Zoll, die können über solche dummdreisten Sprüche nicht lachen. Johnson hat wohl die Vorstellung, in Europa stehe man Schlange nach Harris-Tweed und schottischem Whisky und werde sich schon kümmern, wie man in Zukunft an diese lebenswichtigen Dinge kommt.
Die europäischen Fachleute für Lieferketten und vernetztes Wirtschaften haben da eine ganz andere Sicht. Sie müssen sicherstellen, dass Hunderttausende Komponenten für die komplizierten Fertigungsprozesse der Wirtschaft auch nach einem harten Brexit zuverlässig kreuz und quer über den Kanal kommen. BMW baut den Mini in England, die Einzelteile dafür kommen aus vielen verschiedenen Ländern, und der fertige Mini geht in viele verschiedene Länder. Umgekehrt warten Fabriken auf dem Kontinent auf Zulieferteile aus England. Für jedes Einzelteil von der einzelnen Schraube bis zum kompletten Motor muss in Zukunft eine Zollerklärung abgegeben werden, muss Einfuhrumsatzsteuer deklariert und gezahlt werden, von Detail- und Sonderproblemen dieser Prozesse ganz abgesehen. Wie organisiert man aus dem Stand solche Massenprozesse? Mit einer englischen Verwaltung, die keine Vorstellung hat, wie das ablaufen soll? Mit den unterschiedlichen Zoll- und Steuerverwaltungen der EU-Mitgliedsländer, die alle ihre eigenen Verfahren pflegen? Und wer trägt die Kosten, die dadurch entstehen: Die Zulieferer, die Hersteller des Endprodukts oder die Käufer?
Jetzt auf den Brexit vorbereiten, trompetet Boris Johnson in der deutschen Zeitung in einer völlig offenen Situation. Seit drei Jahren ist offen, wie diese Folgen eines eventuellen harten Brexit bewältigt werden können. Die Wirtschaft der EU-Mitgliedsländer hat das bis heute schon Unsummen gekostet: Heerscharen von Spezialisten sind damit beschäftigt, vorbeugend Auffanglösungen zu entwickeln. Nur Boris Johnson tut so, als ob man sich erst jetzt vorbereiten muss.
Folgt man dem Link, den Boris Johnson in der Zeitungsanzeige angibt, dann landet man auf einer zweisprachigen Website. Eine englische und eine polnische Version. Von hier aus erhält man originelle Auskünfte, zum Beispiel kann man sich ein .pdf herunterladen mit diesem Rat: „Machen Sie sich bereit für den Brexit … Nach dem Brexit müssen Sie beim Warenverkehr bestimmte Zollformalitäten beachten, wenn Sie aus dem Vereinigten Königreich Waren kaufen oder in der EU einführen möchten. Sorgen Sie dafür, dass Sie sich mit den Zollformalitäten Ihres Landes vertraut machen.“