Retro-Besoffen

Heimat-Diskussion als politische Gegenreformation

Die gute alte Zeit. Da schmeckte die Butter noch nach guter Butter, da war Alles klar geregelt und die Welt noch heil. Sprüche wie diese waren lange Zeit aus der Mode. Man gebrauchte sie allenfalls, um sie den Tattergreisen in den Mund zu legen, die hinterm Ofen sitzen, in der Vergangenheit leben und die Zeit nicht mehr verstehen. Eine Karikatur.

Aus der Karikatur wird gerade Ernst. In Münster traben die Untoten durch die Stadt, 1000 Kreuze für die Ungeborenen auf der einen Seite und „Mein Bauch gehört mir“ auf der anderen Seite. Als ob diese Diskussion nicht schon Jahrzehnte zurück läge. Die Zeit ist darüber hinweggegangen, es gibt einen stabilen gesellschaftlichen Konsens im Umgang mit dieser schwierigen Frage. Selbst die katholische Kirche bewegt sich langsam. Nicht jedem mag die Lösung gefallen, auf die man sich nach langem Ringen verständigt hat, sie ist ein Kompromiss zwischen ethischen Überzeugungen und aktueller sozialer Wirklichkeit.

Genauso ist es mit der Heimattümelei, die gerade um sich greift. Ministerien für Heimat vermehren sich, viele neue Beamtenstellen werden geschaffen, damit neue Minister neue Wohltaten verteilen und sich in Szene setzen können. Das Lächerliche daran ist die Bezugsbasis. Was Heimat ist, das versuchen die Heimattümler gerade mit Bildern aus einer verklärten, weit zurück liegenden Vergangenheit zu definieren, in Wirklichkeit umzudeuten. In Bayern hat Herr Söder als Heimatminister aristokratische Schlossruinen restauriert. In Westfalen machen die Westfälischen Nachrichten (17.3.2018) das Thema mit einem riesigen Foto auf, das vielen Lesern gleich ans Herz geht. Acht Kühe in westfälischer Heckenlandschaft unter einem Baum, davor ein Wasser, dahinter ein Einzelhof. Nur die neumodische Telefon-Freileitung hat man vergessen herauszuretuschieren. Mit diesem Bild aus dem Freilichtmuseum zitieren die WN die Vergangenheit. In Wirklichkeit kommen Milch und Fleisch aus der Agrarfabrik, und nicht das alte Bauernhaus, sondern Agrarindustrie und Gülletanks bestimmen das Bild. Und wo sind die Menschen geblieben? Sie leben und arbeiten nicht mehr unter diesem tief herunter gezogenen Dach. Sie drängen sich in den Städten, sie suchen dringend Wohnraum und Kita-Plätze, sie arbeiten am PC oder für 8,50 Euro die Stunde beim Paketdienst.

Wirklichkeitsverweigerung ist diese Form von Heimattümelei. Alle Menschen haben eine Heimat, die sie als innere Basis mit sich tragen. Auch der Flüchtling aus Syrien bringt seine Heimat mit – und findet hier eine neue, wenn wir vernünftig miteinander umgehen. Das war schon immer so, und Heimat war und ist immer offen für Veränderung und für die „Neuen“, für die Zuwanderer, ob sie nun vor 100 Jahren aus Polen ins Ruhrgebiet kamen, vor 25 Jahren aus Bosnien oder jetzt aus Syrien. Heimat ist immer etwas Aktuelles, mit den Bildern aus dem Heimatmuseum hat das nur indirekt zu tun. Wer diese Diskussion nur mit dem Blick in die Vergangenheit führt, der muss sich fragen lassen: Wem nützt das?