Landtagswahl auf Hiltrups Marktallee
Nicht jedem ist es gegeben, am laufenden Band zündende Slogans und neue Ideen zu produzieren. Im Alltag nimmt man das nicht besonders wahr, es ist eben alles so wie es ist. Aber jetzt ist Wahlkampf, Wahlkampf für den NRW-Landtag. Ob wir es wollen oder nicht, uns springen die Plakate von einigen Parteien ins Auge – da kommen schon die ersten Fragen: wer plakatiert eigentlich? Auf Hiltrups Marktallee sind durchaus nicht alle Parteien mit Plakaten vertreten. Der Spaziergang am Ostermontag bringt eine kleine Bestandsaufnahme. SPD und Grüne sind an mehreren Standorten mit je vier Plakatmotiven vertreten, die CDU mit zwei, Linke, ÖDP und FDP jeweils mit einem Motiv. Und die anderen? Fehlanzeige. Kein Geld höchstwahrscheinlich, oder keine Ideen – oder keine Traute, krause Ideen zu drucken?
Verabschiedet haben sich die meisten vom guten alten Plakatständer. Schwere Tafeln aus Hartpappe mit Dachlatten-Beinen, Kleisterschicht um Kleisterschicht mit Generationen von Wahlplakaten beklebt, je drei davon mit Kabelbindern zu einem Ständer verbunden und nach der Wahl mühsam eingelagert bis zur nächsten Wahl – zu groß ist der Aufwand. Bis auf die Grünen setzen jetzt alle anderen Parteien auf die modernen Hohlkammerplakate: recyclebarer leichter bedruckter Kunststoff. Ob die alten Plakatständer der Grünen in der Umweltbilanz besser abschneiden, ist höchst fraglich; will man sich mit den alten Dingern als Bewegung der Tradition profilieren?
Ohne genau nachzuzählen entspricht sich die Anzahl der Plakate bei SPD und CDU. ÖDP und Linke fallen dagegen deutlich ab. Die FDP ist mit einem einzigen Plakat vertreten.
Bei Gestaltung und Motiven gibt es einige Übereinstimmung unter den Konkurrenten. Auf den zweiten Blick ist das nicht verwunderlich. Was will man auf einer – wenn man den Sehabstand berücksichtigt – vergleichsweise kleinen Fläche unterbringen, womit kann man ins Gedächtnis der Passanten eindringen?
Der Klassiker ist das Porträt: Gesicht und ein Teil des Oberkörpers, dazu ein wenig Grafik und etwas Schrift, das sind die Gestaltungsmerkmale. Sympathie muss so ein Plakat transportieren und eine Botschaft. Das Plakat mit Hannelore Kraft ist ein Musterbeispiel. Das Foto vermittelt den Eindruck von Empathie und Energie „die versteht dich und macht das“, die sozi-rote Jacke setzt einen Farbakzent, das Textkürzel vereinnahmt die Betrachter: wir sind in NRW eine große Gemeinschaft, du gehörst dazu. Wer will schon außen vor sein? Die Gestaltung ist insgesamt äußerst knapp gehalten, selbst die Schrift ist schnörkellos, da stört nichts: insgesamt stimmig und höchst einprägsam.
Armin Laschet als Spitzenkandidat der NRW-CDU hat es da schon deutlich schwerer. Ihm fehlt der Amtsbonus, sein Gesicht ist sicher nicht so selbstverständlich im Gedächtnis der Betrachter. Laschet lächelt deutlich freundlicher als Kraft, aber die Plakatmacher hatten nicht den Mut, auf sein Gesicht und seine Person zu setzen: mit konservativer Kleidung und eher kaltem Farbhintergrund haben sie ihn zur freundlichen grauen Maus gemacht.
Im Vordergrund steht hier der farblich hervorgehobene Schriftzug mit seinem Namen, die gewählte Schriftart legt eine Spur zurück in die 50er / 60er Jahre – ob das wohl die Absicht war nach dem Muster „früher war alles besser“? Eher fatal, genauso wie das Sammelsurium von weiteren Textblöcken. „Zuhören. Entscheiden. Handeln.“, ein energischer Punkt hinter jedem der Telegramm-Worte, das traut man dem freundlichen Bürokraten (oder GmbH-Geschäftsführer) auf dem Plakat wohl zu, aber was zum Teufel hat daneben der dreieckige Störer „NRW geht vor.“ (wieder dieser energische Punkt!) und die missratene Grafik mit dem Kreissegment und dem Doppelpfeil verloren? Wehe man denkt über „NRW geht vor.“ nach. Vor was geht NRW denn vor, vor Niedersachsen und Hessen oder vor den Nachbarn in Belgien und den Niederlanden?
Laschet streckt dem Betrachter die Hände entgegen, das geht über das normale Porträtfoto hinaus. Aber was sagen die Hände? Die Faust wagen sie nicht, das wäre zu brutal und nicht staatsmännisch; die offene Einladung zum Händedruck können sie auch nicht; die Finger sind fest ineinander verschlungen, als ob er sie krampfhaft daran hindert, Merkels Raute nachzumachen – merkwürdig.
Das Plakat des Wahlkreiskandidaten Stefan Nacke sticht dagegen wohltuend ab. Die Gestaltung insgesamt klarer, der Hintergrund in helleren Blautönen gehalten. Ein Gesicht nach dem Muster „den könnte man sich als Schwiegersohn vorstellen“, Kleidung konventionell aber ohne Kravatte, auch hier „Zuhören. Entscheiden. Handeln.“ – ob das nicht doch noch etwas zu groß ist für den freundlichen Schwiegersohn?
Anders als Laschet schreibt Nacke seinen Namen in modernerer Schrift und neckischem Bogen und zeigt, dass er mit elektronischen Medien zu tun hat; aber auch hier wäre insgesamt weniger mehr gewesen.
Einen ganz anderen Weg geht Svenja Schulze als Wahlkreiskandidatin der SPD. Kein Sozi-Rot, kein Graue-Maus-Kostüm: kräftig blaue Jacke auf rosa, ja: rosa Hintergrund!, abgesetzt in einem breiten weißen Rand. Das haut optisch hin, hat einen großen Überraschungseffekt: rosa, also das hätte man nicht gedacht.
Natürlich lebt auch diese Darstellung wie bei Hannelore Kraft vom Amtsbonus der Ministerin, aber: gegenüber den CDU-Kandidaten besticht die Gestaltung doch durch ihre Klarheit. Schulz muss etwas sagen (nur Kraft muss nichts versprechen, nur sie kann sich allein auf ihr Gesicht verlassen), also spielt sie mit „Eine starke Stimme in Düsseldorf“ auf ihr Ministeramt an; die Schriftfarbe Weiß nimmt diesen Text aber stark zurück.
Und dann gibt es noch einen, der es mit einem Porträt-Plakat versucht. Ausgerechnet vor der Sparkasse verkündet Michael Krapp für die ÖDP „MenschvorProfit“. Zweitagebart, Rundhals-Shirt und Pullover, überlegenes Lächeln, das gibt den unkonventionellen Typ. Aber warum ist der Mann leicht von unten fotografiert? So blickt er von oben auf uns herab, es scheint er weiß alles besser.
Nur bei der Auswahl des Grafikers hat er es nicht besser gewusst. Es wimmelt von Gestaltung auf dem Plakat! Das Gesicht verdeckt den zweifachen Hintergrund; grüne Natur (?) muss das „Ö“ im Namen der Partei wiederspiegeln, und davor wimmeln Buchstaben eines nicht mehr zu entziffernden Slogans. Puh!
Der Vordergrund ist offensichtlich nicht nur der Sparkasse gewidmet, sondern auch dem Café Klostermann gegenüber: „… damit der Sonntag frei bleibt“ und – als Notizzettel schmerzhaft mit einer Nadel auf Krapps Schulter gepinnt – „verkaufsfreier Sonntag“. Also keine Brötchen mehr am Sonntagmorgen, kein Kuchen am Nachmittag. Krapp, das Thema mit dem Sonntag ist in Münster längst durch, und die Bäcker und Blumenläden wollt ihr doch sicher nicht dicht machen!
So ist das mit den Porträt-Plakaten eine zweischneidige Sache.
Anders treten die Grünen an. Die Plakate setzen auf Minimalismus. Krumpeliges Papier mit Kleister-Spuren, keine Fotos, alles Grün. Grün ist gut, Grün ist Partei-Geschichte; das Plakat-Grün ist eher stumpf und matt, man ist in die Jahre gekommen und etwas aus der Zeit gefallen, scheint es. Und das Altrosa als Zweitfarbe, kommt das vielleicht, weil die Sozis in der Düsseldorfer Regierung abgefärbt haben? Aber vielleicht sind ja die Slogans besser.
Doch da breitet sich Ratlosigkeit aus. „1. Für Jung und Alt. 2. Zusammenhalt!“ – zugegeben, auf den ersten Blick meint man, ein altes Ehepaar auf dem Weg zur Eheberatung zu sehen, aber es soll wohl den Opa mit dem Enkel zeigen – oder doch nicht? Vertragt euch gefälligst, scheint das Ausrufezeichen zu rufen, aber was soll das? Oder will man mit „Zusammenhalt“ das große NRW-Familien-Wir-Gefühl beschwören? Das kriegen die Plakat-Macher von Hannelore Kraft aber besser hin.
„1. Neue Energie. 2. Neue Jobs!“ – ach, die Windkraft ist doch kein grünes Thema mehr, das ist Allgemeingut. Und neue Jobs, ja die sind immer gut. Arbeit für alle – aber das war wohl nicht gemeint.
Ebenso wenig originell „1. Nahverkehr ausbauen. 2. Überall ankommen!“. Wenn man überall ankommen will, kann man leicht im Nirgendwo ankommen; wo die Grünen hier über das selbstverständliche Nahverkehrs-Thema hinaus ankommen wollen, bleibt rätselhaft.
Unfreiwillig komisch gerät dann das grüne Standard-Thema. Umwelt, natürlich muss diese Partei sie ansprechen, aber wie? All die „1..2.!“-Slogans der grünen Plakate triefen von Beliebigkeit, hier werden die Grünen konkret: „Natur atmen!“ kommandieren sie mit dem Ausrufezeichen vor dem fliederfarbenen Baum. Wer denkt da nicht an den nächsten Heuschnupfen, die nächste Pollenallergie?
Wir gehen weiter auf der Marktallee und wenden uns den Sonderfällen der politischen Plakatkunst zu.
Zeig Stärke, das ist die Botschaft der Linken. In Kampfpose ballt eine Frau die Faust und zeigt ihre Muskeln. Man zeigt einen gewissen Sinn für Humor, das Plakat vom Wohnraum und vom Arsch der Welt (die Leute wollen Staatsgäste empfangen?) hängt vor dem Maklerbüro der LBS. Weiterer Kommentar: überflüssig.
Den Höhepunkt der Plakatkunst findet man dann kurz vor dem Bahnhof. Hier präsentiert die FDP keinen ausgeschlafenen Politiker, jung, dynamisch, erfolglos, sondern beinharte Kampf-Prosa. Im Bild: der unausgeschlafene Pendler, männlich, nicht mehr jung, gefrustet-konzentriert sehen wir ihn im Spiegelbild seines Autos auf dem Weg zur Arbeit. Er grollt, und nur die FDP verleiht ihm eine Stimme: die verdammte rot-grüne Landesregierung hat immer noch keine Autobahn nach Ottmarsbocholt gebaut, und das nur, weil die Kraft immer so spät aufsteht. Endlich sagt das mal einer!
Was Lindners FDP nicht sagt ist, dass die Autobahn nach Ottmarsbocholt am Widerstand des CSU-Bundesverkehrsministers gescheitert ist. Und dass die Staus nicht weniger werden, wenn man mehr Straßen baut: gependelt wird, so weit das persönliche Zeit-Budget reicht, d.h. je besser die Straßen sind, desto weiter wird gependelt, also desto mehr wird gefahren (sagt die Wissenschaft). Fazit: das war nichts.
Was es sonst noch gibt? Ein wenig Friede-Freude-Eierkuchen.
Das, was regierende Parteien eben so sagen.
Wir sind alle nett miteinander, und nur mit uns gibt es eine Zukunft, aber Vorsicht: mit denen von der anderen Partei geht die Welt unter – oder so ähnlich. Aber das hat schon Adenauer so gemacht, und irgendwie gehört das wohl zum Politik-Geschäft.
Sind Sie jetzt schlauer, wen Sie am 14. Mai wählen wollen? Nein? Dann schauen Sie sich doch einfach an, was die Politiker und die Parteien in den letzten Jahren gemacht haben, mit „Zuhören. Entscheiden. Handeln.“ oder so, und was es für konkrete Probleme und Lösungsangebote gibt. Das ist wohl doch besser als Plakate-Gucken…
(Eine Fortsetzung dieses Artikels finden Sie hier.)