2023 tut sich Hiltrup schwer mit seiner Vergangenheit. Fast 80 Jahre nach dem Krieg ringt der Ort noch um den Umgang mit Opfern und Tätern. 1971 beschreibt Thomas Bernhard das Wegschauen, das nicht wahr haben Wollen in dem Text „Gehen“. Bernhard zitiert als Zeugen den Spaziergänger Oehler. Er hat sich mit knapper Not ins Exil gerettet und ist zurückgekehrt. Nüchtern beschreibt Oehler die vergebliche Suche nach den Verschwundenen. Den Showdown inszeniert Bernhard im Rustenschacherschen Hosenladen. Nonchalant wird „tschechoslowakische Ausschussware“ unter dem Etikett „erstklassigste englische Stoffe“ vermarktet. Der Protagonist Karrer wird verrückt an der hartnäckigen Leugnung des Offenkundigen, es gibt keine Entwicklung des Denkens – anders als beim regelmäßigen Gehen der beteiligten Personen miteinander.
Der Text fordert das Publikum; irritiert zunächst mit konzentrierter Sprachartistik, zieht nach und nach immer intensiver in eine Dynamik des Erinnerns und Verzweifelns an der Gegenwart. Am Ende entlässt er das Publikum in die betroffene Erkenntnis, dass sich auch mehr als 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung nicht allzu viel geändert hat.
Pitt Hartmann und Carsten Bender vertraten an diesem Abend im Pumpenhaus abwechselnd den namenlosen Ich-Erzähler, ließen ihn mal nüchtern, mal voller Verzweiflung berichten. Christian Fries spielte sehr präsent am, vor und mit dem Klavier, am Folgeabend setzte er das Bernhard-Doppel mit „Untergehen“ fort. Eine brillante Aufführung der Hartmann und Konsorten, vielleicht doch noch ein weiteres Mal in Münster zu sehen und zu hören?