Alkohol und Drogen oder böse Absicht?
Es war einmal: eine gute alte Tante. Die hatte zwar oft sehr altbackene Vorstellungen und drohte gern mit dem erhobenen Zeigefinger, aber sonst hatte sie durchaus Qualitäten. Mit den alten Tanten hat es aber so sein Bewenden; irgendwann sind sie nicht mehr nur einfach angestaubt, tantig, irgendwann werden sie absonderlich. Demenz, Alzheimer, solche Vokabeln sind dann schnell bei der Hand.
Aber was, wenn die alte Tante eine Zeitung ist? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung?
Die Eigenheiten dieser alten Tante meinten wir eigentlich zu kennen. Wenn es nach ihr geht, wollen die bösen Sozis – wohlgemerkt die altbekannten von der SPD, nicht etwa Frau Wagenknecht – uns alle an Moskau verkaufen, und nur die CDU kann uns vor dem Fegefeuer retten. In der Wolle schwarz gefärbt, diese Grundlinie kennt man, das zieht man bei allen Meinungsartikeln vorweg ab.
Das Handwerkliche, das hat damit nichts zu tun? Inzwischen sieht das anders aus. Grobe Manipulation, eigentlich ein Unding für eine Qualitätszeitung, wird ganz offen betrieben. In der Ausgabe vom 23.9.2017, am Vortag der Bundestagswahl, druckt die FAZ eine Bildergalerie der Spitzenkandidaten. Im Feuilleton tut die FAZ das, vielleicht hält die Redaktion das Feuilleton für die Spielwiese, wo man so etwas ungestraft tun darf: Mit der Auswahl von Fotos den Leser manipulieren. Wir kennen dies seit vielen Jahren von den Westfälischen Nachrichten, aber das ist nur ein Provinzblatt.
Die FAZ als sogenannte Qualitätszeitung druckt Herrn Lindner als brüllenden Gorilla. Die FAZ druckt Herrn Schulz mit einer so abgedrehten Grimasse, dass man ihn für völlig besoffen halten muss; eine nette Anspielung auf dessen Vita. Wen druckt die FAZ sonst noch: Frau Weidel in seriöser Pose. Herrn Seehofer als freundlichen Biertrinker. Frau Wagenknecht lächelnd hinter vorgehaltener Hand. Und fünfmal Frau Merkel als freundlich-vernünftig-strahlende Oma.
Und dann die Farben der Fotos! Merkel darf strahlen, ihre Fotos sind richtig bunt; himmelblauer Hintergrund, sozi-roter Blazer, Hauttöne, die nach Haut aussehen. Die Konkurrenz wird von der FAZ farblich klein gehalten. Blasse Farben, blasse Hintergründe, eher unfreundliche Hauttöne, und an Schulz hat sich der Bildredakteur richtig ausgetobt: das Gesicht so dunkel, dass man keine Hauttöne erkennt, und der Hintergrund ebenfalls dunkel abgesoffen. So etwas kommt dabei heraus, wenn der Amateur zum ersten Mal Bildbearbeitung mit GIMP übt – der professionelle Bildredakteur wusste, was er übles tat.
Was soll so ein Quatsch? Merkel über alles, Seehofer über alles, eine neutrale Bildauswahl für die Extremisten am linken und rechten Rand und verstecktes Bashing der realen Koalitionskandidaten? Das ist gegen alle Regeln des guten Medien-Handwerks.
Man schaut tiefer in die Zeitung, und dann – Alkohol oder Drogen, was ist mit denen denn los? Im Wirtschaftsteil verbreitet sich jemand über Obamacare. Nun gut, das ist auch ein Thema der Wirtschaft, denn warum sollen Krankenversicherer sich mit schlechten Risiken abgeben müssen? Da ist es offensichtlich nach Meinung der FAZ schon schlimm genug, dass die deutsche Sozialversicherung eine lückenlose Krankenversicherung für alle, und zwar von Geburt an bietet. Wer so denkt, der textet dann auch die Überschrift „Die Radikalisierung des Jimmy Kimmel“ (FAZ, Ausgabe vom 23.9.2017). Jimmy Kimmel in den USA ist zur Hassfigur der FAZ avanciert, weil er in seiner Unterhaltungsshow sein ganz persönliches Thema öffentlich gemacht hat: Kimmels Kind ist ein „schlechtes Risiko“ der Krankenversicherung, und er fordert von den Republikanern, für eine Krankenversicherung auch der „schlechten Risiken“ einzustehen. Mehr nicht. Für die FAZ ist das „Radikalisierung“.
Ach du arme alte Tante …. Aber man kann das auch ein wenig schärfer sehen: für 2,90 Euro kann der Käufer eine wirkliche Qualitätszeitung erwarten, nicht so ein billiges Machwerk. Agitation gibt’s anderswo kostenlos.
Man kann sich das ein paar Tage später online ansehen:
Kostenlose Agitation gibt’s auch bei der FAZ, in der Online-Ausgabe. Bevorzugtes Opfer: Martin Schulz, ehemaliger Vorsitzender des Europa-Parlaments. Schulz wird in der Ankündigung eines Videos vorgeführt mit weit aus dem Mund gestreckter Zunge, wie ein Blödmann, wie einer der nicht alle Tassen im Schrank hat (25.9.2017, spätabends). Solche Augenblicks-Schnappschüsse gibt es von jeder Person. Jeder verdreht mal die Augen, blinzelt verquer, leckt die Lippen, kratzt sich irgendwo: solche Fotos löscht man, wenn es um Familienangehörige geht. Solche Fotos benutzt man nicht, wenn man seriöse Medienarbeit betreibt. Nur die FAZ veröffentlicht so etwas, und nur beim politischen Gegner. Billiger geht’s nicht.
(Dieser Beitrag wurde am 26.9.2017 aktualisiert.)